Das Regierungsgebäude - ein Stück Radiogeschichte

Im Regierungsgebäude am Stubenring wurde Radiogeschichte geschrieben: Mit dem „Stubenringsender“ befand sich hier das erste Hörfunkstudio des Landes. 

Der Vorverstärker des Stubenringsenders
Foto: Dokumentationsarchiv Funk

Militärische Notwendigkeiten waren es, die Österreich-Ungarn im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert dazu bewogen hatten, seine Kommunikationsstrukturen zu modernisieren.

Im Zuge der Fertigstellung des neuen Kriegsministeriums am Stubenring wurde deshalb 1913 eine große Radiotelegraphieanlage mit zwei 31 Meter hohen, am Dachstuhl befestigten Gittermasten errichtet.
 

Die dazugehörigen Geräte waren in den sogenannten „Apparaträumen“ in der Mansarde, dem nunmehrigen fünften Stock, untergebracht. Indem die Donaumonarchie auf die neue Technologie der „drahtlosen Telegraphie“ setzte, zog sie mit anderen europäischen Mächten gleich und stellte gleichsam eine problemlose Funkverbindung zu den Schiffen ihrer Kriegsmarine sicher. Diese ursprünglich rein militärisch genützte Kommunikationsform wurde laufend weiterentwickelt und gab letztlich die Initialzündung zur Entstehung des Hörfunks.

Nach dem Krieg überprüfte der Radiopionier Franz Anderle die Gerätschaften am Stubenring in Hinblick auf ihre weitere Verwendbarkeit. Die Anlage sollte fortan der zivilen Nutzung dienen und wurde vom Telegraphen zum Sprechfunk umgebaut. Versuchssendungen wurden ausgestrahlt, technische Verbesserungen vorgenommen und erste Pläne für eine österreichische Rundfunkkonzession erstellt. 1921 suchte Oskar Czeija um die Erteilung einer Rundfunklizenz an. Die Skepsis ihm gegenüber war groß und die Konkurrenz zahlreich. So dauerte es drei weitere Jahre, bis die Radio-Verkehrs-AG (RAVAG) am 30. September 1924 tatsächlich gegründet werden konnte und Czeija schlussendlich doch zu ihrem Geschäftsführer bestellt wurde.

Radio für zwei Schilling im Monat

Noch im September 1924 startete ein tägliches Musik- und Vortragsprogramm. Der reguläre Sendebetrieb wurde dann am 1. Oktober aus einem provisorischen Studio am Stubenring aufgenommen. Die „Neue Freie Presse“ berichtete sogleich von 15.000 „Anmeldungen zum Rundspruch“, einer für damalige Verhältnisse beachtlichen Zahl. Nur ein Jahr später wurden bereits 100.000 Rundfunkteilnehmer/Rundfunkteilnehmerinnen gezählt, die für eine monatliche Gebühr von zwei Schilling dem Programm lauschten. Das Radiohören avancierte zusehends zum Massenphänomen und begeisterte die Menschen: Während im Kino Stummfilme liefen, war der Hörfunk neben der Schallplatte das einzige Tonmedium seiner Zeit und es berichtete noch dazu in Echtzeit.

Anfangs war es vor allem klassische Musik, die von „Radio Wien“, wie der Sender offiziell hieß, in den Äther geschickt wurde. 1925 begann man Live-Übertragung zu schalten. So wurde etwa Wolfgang Amadeus Mozarts „Zauberflöte“ direkt aus der Staatsoper übertragen oder live von den Salzburger Festspielen berichtet. Später ergänzte die RAVAG das Programm um Theaterstücke, wissenschaftliche Vorträge und Kindersendungen. Bereits 1924 gab es im Rahmen der „Radio-Volkshochschule“ ein eigenes Bildungsprogramm, eine Institution, die sich bis heute mit der Ö1-Sendung „Radiokolleg“ erhalten hat.

Berichterstattungen über aktuelle politische Ereignisse und das Zeitgeschehen waren hingegen aus Rücksicht auf die geschäftlichen Interessen der Zeitungsherausgeber untersagt. Zudem sollte so das junge Medium aus den Querelen und Konflikten der politischen Parteien herausgehalten werden. Die einzigen aktuellen Informationsinhalte bestanden in der Durchgabe von Wetterprognosen, des Wasserstandes einzelner Gewässer, der Börsenkurse und Sportnachrichten sowie dem sogenannten „Kriminalrundspruch“, einer Art möglichst unpolitischer Chronik-Berichterstattung.

Kopfhörer als begehrtes Geschenk

1926 verließ die RAVAG mit ihrem „Stubenringsender“ das Kriegsministerium und übersiedelte in eine ehemalige Schule in der Johannesgasse 4 im ersten Wiener Gemeindebezirk. Dort entstand auch das erste Funkhaus mit modernen Sendeanlagen, welche heute im Technischen Museum zu besichtigen sind. Der Erfolg des neuen Mediums war atemberaubend: Anfang der 1930er Jahre gab es bereits eine halbe Million angemeldeter Rundfunkteilnehmer/Rundfunkteilnehmerinnen. Kopfhörer wurden in der Millionenstadt Wien zu einem der begehrtesten Weihnachtsgeschenke, die Sendeleistung wurde verdoppelt und die Errichtung weiterer Sender in Angriff genommen.

Stürmische Zeiten

Mit dem Erstarken totalitärer Ideologien wurde auch der Hörfunk in Europa zusehends politisch vereinnahmt und für Propagandazwecke instrumentalisiert. Insbesondere das nationalsozialistische Deutschland machte sich die große Reichweite des Mediums zunutze und sendete seine Botschaften über die Landesgrenzen hinaus. Die österreichischen Machthaber reagierten ihrerseits mit einer Politisierung des Radioprogramms: Neben den kulturellen Programmen, die sich jetzt stärker auf christliche Themen konzentrierten, wurden fortan zusehends politische Beiträge gesendet. Verantwortlich für die Nachrichten zeichnete sich direkt die „Vaterländische Front“. So kam es auch, dass während des Juliputsches im Jahre 1934 das Gebäude der RAVAG beschossen und gestürmt wurde.

Die traumatischen Tage vor dem „Anschluss“ Österreichs lassen sich noch heute anhand zahlreicher Tondokumente der RAVAG nachzeichnen. Kurt Schuschniggs berühmte Rücktrittsrede mit dem Satz „Gott schütze Österreich“ ging beispielsweise nur wenige Stunden vor der Übernahme des Senders on air. Mit der Machtübernahme wurde die RAVAG aufgelöst und in die „deutsche Reichsrundfunkgesellschaft“ überführt. Czeija und viele seiner Wegbegleiter galten als politisch „unzulässig“ und erhielten Hausverbot. Gesendet wurde mittlerweile aus dem Funkhaus in der Argentinierstraße, das Programm delegierte jedoch Berlin.

Wiederaufbau

Unmittelbar nach dem Ende der Kampfhandlungen in Wien machte sich Czeija daran, die RAVAG wiederzubeleben. Das Funkhaus war von den Alliierten zerbombt und die Sendemasten am Bisamberg von der abziehenden SS gesprengt. Dennoch gelang es dem Radiopionier mit nur wenigen Mitarbeitern an seiner Seite einen provisorischen Funkbetrieb aufzunehmen. Dadurch setzte er zugleich ein starkes Zeichen für die völkerrechtliche Eigenständigkeit des Landes. In diesem Sinne wurde auch in der ersten Sendung von „Radio Wien“ nach dem Krieg die Unabhängigkeitserklärung durch die Regierung Renner verlesen.